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Ahh wa!_Farbe.JPG © Gabriella Hohendahl.JPG

Über Ahh wa!

Fisch und Odi veröffentlichten als Synthpunk-Duo Ahh wa! ihr Debütalbum «Mir trülled im Chreis» – begleitet vom grössten Booklet der Welt.

 

Die Pandemie war los, und ihre Band Papst & Abstinenzler flog ihnen um die Ohren. Da warens nur noch zwei. Mitten in diesen allg. und spez. Scheiss hinein whatsappte Fisch: «Ich bin grad am Hits produzieren.» Das hörte dann nicht mehr auf. Weit weg von Bandmusik und engen Terminen in Proberäumen baute er Tracks im Heimstudio. Odi schrieb neue Texte. Manche passten gleich.

 

Im Sommer 21 purzelten die kurzen Songs nur so aus den kurzen Ärmeln. Auf dem Handrücken Ruedi Widmers Memo: «Und keine Angst vor Italo Disco!», mit Kugelschreiber hingekritzelt und noch lang zu lesen am Meeresstrand, bevor es verblich.

 

Fisch im heimischen Equipmenthimmel, an den Reglern. Schraubte an Synthis, spielte Bässe ein, fand den richtigen Ton im Falschen, justierte, machte den Shit heiss.

Odi als nicht ganz Dichter, Wortklauber, Satzklauer, Kalauerer, gab seinen eher schoafn Senf am Mik dazu: Gecroone (SH), Gerede (SH), Gesang (SH).

 

Und plötzlich hatten die zwei genug Musik für ein Doppelalbum. Vinyl machen wollten sie aber nicht mehr. Auch wegen der grotesken Lieferfristen der Presswerke, wo sich nun die Majors vordrängeln. Lieber ein Digitalzugang per Downloadcode.

 

Begleitet wird dieses überbordende Album mit mehr als zwanzig Stücken von einem passenderweise schön fetten – ja was denn eigentlich? Einem gut 100-seitigen A4-Booklet/Fanzine/Art-Mag. Odi fragte Leute an, die er mag, und die allermeisten machten mit, einfach so. Das ist DIY 2.0, quasi.

 

Gegen 40 Beiträge von ebenso vielen Beteiligten sind nun im rekordverdächtig fetten Booklet zu «Mir trülled im Chreis» versammelt. Mit dabei: Leute wie Yves Netzhammer, Stefanie Sargnagel, Bänz Friedli, Olaf Breuning, Blerina Selmani, Kooni, Gabriel Vetter, Ruedi Widmer, Ariane von Graffenried, Andrin Winteler und viele mehr. Zu jedem Stück gibts neben den Lyrics zusätzliche Illustrationen, Fotos, Malerei, Collagen und Texte – Assoziatives, Deepes, Albernes, Wahres.

 

Wir drehen im Kreis, kann schon sein. This ain’t no party, this ain’t no Chilbi – und Zuckerwatte mags nicht geben hier. Dafür dieses unfassbare Album.

Und alles wird sowieso guet!

 

Elektro Müller

«Ahh wa! aus SH bringen das Trockeneis der Eighties mit Ironie und Poesie zum Schmelzen: Tanzmusik für die Geister-Disco!»  

 Frank Heer («NZZ Magazin»)

Ahh wa! – Presse

Tortenköpfe und verstörte Belugas

Kritik an trügerischer Alltäglichkeit und Lust am alltäglichen Absurden: Der Mundartsynthpunk von Ahh wa! ist düster und lustig. Und regt mit einem Fanzine zu literarischen und visuellen Erweiterungen an.

Die Frage muss etwas haben, wenn schier alles dabei rauskommen kann, zwischen «grad Palak Paneer bstellt» und einer kleinen Lebensgeschichte mit Kindern und Haus in Adliswil. Jemand anderes berichtet von viel Sex, weil Noah noch da ist, andere sorgen sich um die Beziehung zur Absenderin: «Bisch hässig?» Blerina Selmani hat an einem Sonntagabend dieselbe Zeile an hundert Nummern aus ihrem Adressbuch verschickt: «Hey, was lauft?» – und wenn man die Antworten liest, ziehen Dutzende Bilder auf, was für Leute das sein könnten.

Das kleine Panorama von Seelenzuständen ist eine der Perlen aus dem Heft: «Mir trülled im Chreis» heisst es und wurde kürzlich gemeinsam mit dem gleichnamigen Album des Schaffhauser Duos Ahh wa! veröffentlicht. Alle Songs des Albums werden auf den über hundert Seiten mit Texten und Illustrationen von Urheber:innen aus dem Umfeld der Band erweitert, darunter auch bekanntere wie Stefanie Sargnagel, Tom Combo, Olaf Breuning oder Ariane von Graffenried.

Selbstfahrender Rasenmäher

Manche Texte nähern sich der Musik mit expliziten Interpretationen, vor allem die Kulturjournalisten neigen dazu. So legt Hanspeter Künzler, in Gedichtform allerdings, ein paar Spuren in die Entstehungsgeschichte des elektronischen Pop: zur New Yorker Band Suicide oder den frühen Kraftwerk. Solche Vergleiche bieten sich bei diesem klar abgesteckten Fundament an: scheppernde Drum Machines, fiepsende oder dunkel schimmernde Synthesizer, industrielle Kälte, aber auch ein Zug Richtung Pop, der manchmal durchdrückt.

2020 begann Martin Fischer in seinem Keller mit analogen Klangmaschinen zu spielen, schickte Ideen an Jürg Odermatt, mit dem er bereits in der Rockband Papst & Abstinenzler zusammengespielt hatte. Odermatt schrieb dazu Texte, die sich zwischen Kritik an trügerischer Alltäglichkeit und Lust am alltäglichen Absurden bewegen. «Hey, wa lauft?» zum Beispiel, der Song, der zum Experiment mit den Textnachrichten anregte, handelt vom drückenden Stillstand im Land, für das Odermatt stechende Bilder findet: einen selbstfahrenden Rasenmäher, eine gleichzeitig langweilig saubere wie rücksichtslos agierende Maschine, oder den «Niedertrachtenverein».

Danach sammelten die beiden Musiker die Beiträge für ihr Fanzine oder überdimensionales Booklet zusammen. Kulturelle Artefakte herumzuschicken, um sie im räumlich verteilten, aber kontaktfreudigen Kollektiv gären zu lassen – die letzten zweieinhalb Jahre haben viele solche Versuche hervorgebracht. Den Charme dieses Hefts macht aus, wie die Ideen in den jeweiligen Arbeitsstuben und Stilen offenbar zu wuchern begannen. Der Überschuss ist Programm, «Mir mached Sache / Wel mers chönd», heisst es in einem der Songs, und die Illustrator:innen und Schreiber:innen liefern keine Erklärungen, sondern spinnen vom Material der Songs ausgehend ihre eigenen Assoziationen.

Die Schriftstellerin Judith Keller etwa macht aus der Figur von «Am Änd vom Tunnel», die eine ideologische Hoffnung nicht als Köder durchschaut, eine Geschichte über eine Geisterfahrerin, die in den gesperrten Gotthardtunnel rast, vorbei an allen möglichen Gestalten, die sich hier eingenistet haben. Der Comiczeichner Daniel Bosshart hat den Songtext von «Mir trülled im Chreis» direkt in einen Strip über einen vom Pech verfolgten Sachbearbeiter eingesetzt. Der Musiker und FM4-Moderator David Pfister hat einen Fanbrief aus Wien geschickt. Und die Illustratorin Kooni hat zu «Mini Dame und Härre, mir schwäbed im All» ein paar verlorene Wesen gezeichnet, verstörte Belugas oder bemantelte Figuren mit Köpfen, gestapelt wie Torten.

Obligate Schwänzerhymne

Im schlechtesten Fall wird das Heft zur Ablenkung, denn auch unter den 22 Songs auf «Mir trülled im Chreis» gibt es schon manchen Winkel zu erkunden. Synthietüftler Fischer lässt seine Ideen ins Kraut schiessen, lässt Rohformen und ihre Kanten stehen. In «Bäfzger bäfzged» rast der Electropunkfuror beinahe über die Schaltkreise hinaus, «Alles wird sowieso guet» ist ein scheinheiliger Rave und «Cheesy livin’» ein dödliger Boogie. In den übers Album verstreuten Instrumentals lässt Fischer seine Geräte immer mal wieder kurz durchdrehen.

Solider Punkgeist steckt auch in den Songtexten. Die coole Bassline von «Fang äntli aa riich sii!» macht den Sarkasmus gegen den Arbeitszwang umso schärfer, und mit «Freitag, blau» hat das Album seine obligate Schwänzerhymne. Über ehrliche Rockmusik gesungen könnte die kulturpessimistische Schlagseite der einen oder anderen Strophe wohl auch etwas bitter klingen. Aber der sperrige Retrofuturismus, mit dem Fischer hier fabuliert, ist für solche Klagen viel zu rutschig.

Exemplarisch und sehr schön anzuhören in «Mir läbed we Mänsche», wo die Maschinen dumpf raunen und wüste Vocoder an den Stimmen zerren. Sowieso wird nicht ganz klar, ob hier noch die verdrahteten Menschen oder schon die Roboter singen: «Mir gsehnd d Wält mit andere Auge / Mir macheds so, wes di andere mached».

David Hunziker, «WOZ»

 

Bereits bei den ersten Songs wird klar, dass hier Musiker am Werk sind, die niemandem etwas beweisen müssen und sich auch nicht darum bemühen, irgendwelchen Trends zu genügen. Musikalisch sind Bezüge zum Post-Punk, New Wave und Elektropop der 1980er erkennbar, in der Nummer «Geischterbahn» etwa scheint der Geist von Alan Vega sein Unwesen zu treiben, und «Alles mo use» könnte auch von Boris Blank produziert sein.

Insgesamt navigieren die 22 Tracks versiert durch die Popgeschichte, um mal Elemente des Oldschool Rap, des Synthwave oder der Dance-Music der späten 1990er aufzunehmen. Auch Sounds aus der Popgegenwart finden Einzug in die Produktion, was so etwas wie einen positiven Cringe-Moment erzeugt: Ahh wa! ist cringe, und weiss es, und singt dazu: «Mir mached Sache / Wel mers chönd / Wel mers chönd / Nid wel mer mönd / Wel mers chönd.»

Adrian Uetz, «Saiten»

 

Was die Musik angeht, wird man erst mal weggespült von dräuenden, sperrigen Synthesizern, die man von Bands wie Grauzone, Suicide, Throbbing Gristle oder Cabaret Voltaire kennt. Gespenster aus dem Trockennebel der achtziger Jahre, die ja längst wieder en vogue sind. Natürlich wissen das Odermatt und Fischer und tun dies im Lied «Geischterbahn» auch gleich kund, wenn sie singen: «Mir trülled im Chreis, mir trülled a de Schruube, mir trülled am Rad, mir trülled langsam dure.» Denn Pop-Musik ist ein Perpetuum mobile. Sie speist sich aus sich selbst, bis sie verlottert und klappert wie eine alte Geisterbahn. Und so tönt auch die Musik von Ahh wa!

 

Zum Glück ist ihr Tauchgang ins Stahlbad der achtziger Jahre aber keine Anbiederung an den Zeitgeist – oder noch schlimmer: Nostalgie. Odermatt setzt seinen Schaffhauser Dialekt so schön gespreizt in Szene, dass einem warm ums Herz und die Bunker-Folklore mit Ironie und Poesie gebrochen wird. So klingen Dystopien schon fast beschwingt, etwa im Song «Freitag, blau», zu dem es sich im Refrain auch im Luftschutzkeller prima schunkeln lässt, vorausgesetzt, es gibt genügend Bier: «De Himmel schtrahlt und er isch blau – und du au.» Tanzmusik für die Geister-Disco!

Frank Heer, «NZZ Magazin»

 

«Kennengelernt habe ich Odi als zynischen Blueser aus der Schweiz, aber da ich um seine Wandlungsfähigkeit weiss, war ich nicht überrascht, als in seiner letzten musikalischen Post ein hedonistischer Elektrorock-Stampfer steckte. Völlig aus der Zeit gefallen, wie eine liegengebliebene Hitsingle aus einem Indiepop-Club aus den Neunzigern. Auch wieder etwas, was uns verbindet: todesverachtend, den Zeitgeist ignorierend, Musik machen, die uns beseelt.»

David Pfister, FM4, Wien

«Musikalisch sind Bezüge zum Postpunk, New Wave und Elektropop der 1980er erkennbar, in Geischterbahn etwa scheint der Geist von Alan Vega sein Unwesen zu treiben, und Alles mo use könnte auch von Boris Blank produziert sein.» 

 Adrian Uetz («Saiten»)

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